martedì 2 dicembre 2008

WEIHNACHTEN 1989 IN PLYMOUTH

Aus MSKR N°3. „ Der Fall MS Condor.“

... Jan und ich hatten in der Tiefkühltruhe eine gefrorene Ente gefunden, die auf der Stelle zur Weihnachtsgans erkoren wurde und die, wollten wir uns für unser Abendmahl braten.
Nach reifer Überlegung, wie man eine Weinachtgans am besten zubereiten sollte, kamen Jan und ich zu dem Entschluss, dem alten Geier, bevor er im Backofen brutzeln sollte, erst mal voll zu stopfen war, aber mit was?
Wir hatten fast gar nichts an Bord, das unserer Meinung nach als Weihnachtsgeierfüllung durchgehen konnte.
Nun standen wir da mit unserem Talent, mit dem noch gefrorenen Geier in einer Plastikschüssel im Waschbecken, mit Luwala, unsere Hündin, die vor der Kombüsentür Wache hielt und den Geier nicht für eine Sekunde aus den Augen ließ, und wussten nicht weiter.
„Zuerst müssen wir von allen Dingen, die als Füllung in Betracht kommen könnten, Inventur machen“, schlug Jan vor.
Wo nichts ist, kann man bekanntlich nichts finden, aber dann, hatten wir doch etwas im Kühlschrank gefunden, womit wir glaubten, eine vernünftige Entenfüllung zusammenschustern zu können.
Wir hatten: Noch einem guten halben Liter dicke Bolognese-Soße, ein halbes Pfund gekochten Reis aus dem Nasi Goreng von neulich und etwas geräucherten Speck, sonst nichts.
„Das muss reichen. Was wir hier haben, ist besser als gar nichts“, dekretierte Jan, der Bootsmann, mit fachmännischem Blick.
Der Geier wurde von mir aus seiner Plastikfolie befreit, in einen Brattopf gesetzt und sofort für eine Weile in den Backofen zum Auftauen geschoben.
Währenddessen hatte Jan die Spaghetti-Soße und den Reis vermengt und war dabei, ein gutes Pfund geräucherten Speck klein zu würfeln.
Und die alte Sau schob immer noch, an unserem stillen und munteren Treiben sehr interessiert, stram wie Oskar, vor der Kombüsentür Wache.
Für die Füllung zerhackte ich noch eine große Zwiebel klein,und Ja,  mischte alles zu einem schönen Klumpen zusammen.
„Falls das zu viel sein sollte und nicht alles in den Geier hineinpasst, können wir den Rest Luwala geben“, ließ Jan mich wissen, als er seine Weihnachtsgansfüllung mit kritischem Blick betrachtete.
Danach nahm er die Plastikschüssel, wo der Geier vorher gelegen hatte, wusch sie kurz, knallte den Klumpen dorthin, versalzte, verpfefferte und vermengte das Ganze noch einmal und legte es in den Kühlschrank.
Wir wollten uns gerade frischen Kaffee zubereiten, als jemand von Land aus nach uns rief.
Es war ein Mitarbeiter des Hafenmeisters, der uns Bescheid sagen wollte, dass am Abend eine besonders niedrige und spätre hohe Tide, zu erwarten war.
Er bat uns, auf unsere Leinen aufzupassen, danach wünschte uns der Mann ein frohes Weihnachtsfest und zog weiter.
Zu der Zeit hatten wir fast Hochwasser, unsere Leinen vor und achtern waren in Ordnung, das Schiff lag gut an der Pier, zwar etwas weg davon, aber da wir keinen Besuch zu erwarten hatten, ließen wir es so und zogen die Leine, auch in Erwartung des abendlichen Niedrigwassers, nicht stramm.
„Wir haben weder einen Weihnachtsbaum noch sonst was“, bemerkte ich, als wir kurz danach in der Messe beim Kaffee saßen.
„Ich glaube, dass ich gleich losgehe und uns etwas Festliches besorge, womit wir uns heute Abend die Messe schmücken können.“
„Das ist gar keine schlechte Idee, Meister, aber was wollen wir zu Mittag essen?“
„Ich habe keinen Hunger, Jan.“
„Dann hab ich auch keinen Kohldampf.“
„Soll ich uns doch Fisch and Chips von Land mitbringen?“
„Menschenskind, Meister, ja, warum denn nicht? Das habe ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gegessen.“
„Okay, dann ich geh gleich los und bin in maximal zwei Stunden wieder zurück an Bord“, versprach ich.
Und so kam es auch.
Bei Woolworth kaufte ich uns ein kleines Weihnachtsbaum aus Plastik, einer kleiner Adventskranz; ein paar Pfund Knabberzeug und einigen Billigvideos kamen noch dazu.
Beim Metzger besorgte ich auch einen riesigen Knochen für Luwala.
Beim Bäcker eine Sahnetorte und frisches Brot und beim Inder um die Ecke Fisch and Chips.
So bepackt war ich wie versprochen kaum zwei Stunden später wieder an Bord, wo Jan mit dem Geier im Gange war.
Er hatte sich wirklich Mühe gegeben.
Die gesamte Füllung war in dem Vogel verschwunden und als ich in die Kombüse kam, war er gerade dabei, mit einer Segeltuchnähnadel und Garn dem Geierarsch fachmännisch und gekonnt dicht, zu nähen.
Danach, so gegen sechs Uhr, verschwand unser zubereiteter Weihnachtsbraten im Ofen und die alte Sau hielt immer noch stramm und neugierig vor der Kombüse Wache.
Jan hatte auch eine Dose Rotkohl aufgemacht, er wollte uns noch dazu Stampfkartoffeln zubereiten, zuerst aber, bevor alles kalt wurde, aßen wir unsere Fisch and Chips, und Luwala bekam ihrem Riesenknochen verpasst.
Nach dem Essen begab sich Jan wieder in die Kombüse und ich gab mir Mühe, unsere Messe festlich zu gestalten.
In der Putzlappenkiste hatte ich vor Kurzem eine fast neue bunte Tischdecke gesehen, und die holte ich mir auch. Sie hatte zwar in der Mitte ein Loch, aber da setzte ich den Adventskranz drauf.
Den kleinen Weihnachtsbaum stellte ich auf den Fernseher und schmückte ihm mit Lametta und ein paar bunten Kügelchen.
Eine richtige Weihnachtsdekoration hatten wir zwar nicht, aber als ich fertig war, sah die Messe doch recht niedlich und festlich aus.
Wir hatten, um unseren Weihnachtsabend einigermaßen menschlich zu gestalten, alles Mögliche getan, und während wir nun so in der Messe bei einem Tropfen gutem Wein, den ich vorsorglich ebenfalls in der Stadt ergattert hatte, auf unseren Braten warteten, schauten wir uns eins der Videos an, die ich bei Woolworth gekauft hatte.
Der Geier war gegen einundzwanzig Uhr gar, denn unser Ofen war nicht gerade das beste und darher hatte es so lange gedauert.
Jan hatte unseren Weihnachtsbraten aus dem Ofen geholt und behutsam, fast mit Ehrfurcht auf einen ovalen Teller gelegt.
Er wollte gerade den Geier mit Rotkohl, der viel versprechenden Soße und dem Kartoffelpüree garnieren, als die Schiffsleinen laut zu knattern anfingen.
„Scheiße, Meister, wir haben die Leinen vergessen“, rief Jan alarmiert aus.
Wie auf Kommando sprinten wir los an Deck, um unsere veralteten Festmacherleinen zu retten.

Zuerst fierten wir den achtern Leinen etwas ab, danach gingen wir nach vorne und taten dort dasselbe mit den restlichen vorderen Leinen.
Dort auf der Back, bevor wir wieder nach Achtern gingen, zündeten wir uns eine Zigarette an und schauten uns in der Kälte des Abends ein bisschen um.
Vom Schiff aus sah die Stadt wie ausgestorben aus, da fuhr kein Auto, kein Mensch war weit und breit zu sehen.
Wären die bunten Lichter, die vor fast jedem Fenster blinkten, nicht gewesen, wir hätten sagen können, dass wir in einer Geisterstadt gelandet waren.
Gerade diese Lichter aber, die hinter den Fenstern leuchteten, erinnerten uns daran, dass der Abend ein ganz besonderer Abend war.
In der schweigenden Ergriffenheit unserer Gefühle standen wir, von Gott und Mensch verlassenen Relikten der christlichen Seefahrt, beide da auf der Back der MS. Condor und genossen in tiefer Demut die Stille des Heiligen Abends.
Schweigend und rauchend, fast wie von der anderen Seite des Mondes aus, sahen wir die bunten Lichter hinter den Fenstern der umliegenden Häuser an und dachten fern.
„Wo zum Teufel ist die Luwala, Jan?“, fragte ich auf einmal wie vom Blitz getroffen.
„Wie bitte?“
„Die alte Sau, Jan, wo ist sie?“, fragte ich noch einmal, und ich rief nach ihr.
Totenstille!
Die alte Sau, die normalerweise, sobald ich sie rief, besonders in der Dunkelheit, um mir klar zu machen, dass sie doch bei mir war, mich mit ihrer Schnauze am Schenkel schubste, war nicht da.
„Jan, die alte Sau, die mampft uns den Geier weg.“
„Dann werde ich heute Nacht zum Koreaner“, knurrte Jan und sprintete nach achtern.
„Bloß das nicht“, dachte ich, als ich hinter ihm herlief.
Dabei war ich mir nicht im Klaren, ob ich Jan als Koreaner oder die Luwala als Geierdiebin mit „bloß das nicht“ meinte, ich lief also Jan hinterher und hoffte nur Gutes.
Scheiße! Die alte Sau war nicht vor der Kombüse, und der Geier war auch weg!
Ich rief nach ihr, Jan rief nach ihr, nichts rührte sich.
Die teuflische Diebin war mit dem Geier auf Tauchstation gegangen und ließ sich von unseren Rufen nicht beeindrucken.
„Könnte es sein, dass sie mit ihrer Beute bei dir in der Bude ist, Meister?“
„Nein, die kommt nur zum Schlafen zu mir, Jan, die bringt kein Essen mit. Sie hat aber unter der Treppe zur Brücke am Bootsdeck ihren geheimen Schlupfwinkel. Die hat sich bestimmt dorthin verkrochen.“
So war es auch.
Die feine Dame hatte sich mit unserem Weihnachtsbraten unter der Treppe zur Brücke verschanzt und schien von unserem plötzlichen Erscheinen erst mal gar nicht beeindruckt zu sein.
Sie lag da auf dem kalten Deck, den noch warmen Geier zwischen ihren Vorderpfoten fest im Griff und tat so, als ob wir gar nicht da wären.
Die alte Sau tat nur so, denn sie peilte uns beide genau  mit sehr wachsamen Augen gnau an und hieklt uns scharf in visier, während sie genüsslich, an Geiers Arsch schnupperte, dort wo die warme Füllung aus Spaghetti-Bolognese-Soße, Reis, geräuchertem Speck und Zwiebeln langsam herauslief.
Sie stand erst auf, als wir, dem für uns Normalsterbliche unsichtbaren Sicherheitsabstand überschritten, den jedes Raubtier auf dieser Welt hat.
Auch ein verfluchtes Straßenköter, auch eine gemeine, eine miese, eine hinterhältige Hündin, wie Luwala nun mal ist, hatte so ein für uns unsichtbares unmittelbares Grenzrevier.
Und als wir dies brachen, stand sie auf.
Der Geier zwischen ihre Pfoten dampfte noch etwas, als sie aufstand.
Sie legte ihre Schnauze einige Millimeter von Geiers Arsch entfernt und schaute uns, leise, aber unmissverständlich knurrend, an.
„Rotkohl mit Stampfkartoffeln und Spiegeleiern soll auch gut sein, Meister“, beeilte sich Jan zwar kleinlaut, aber bestimmt zu sagen.
Ich wollte natürlich mich sofort auf die alte Sau stürzen und ihr den Arsch aufreißen, ich ließ es aber sein.
„Was mich am meistens wurmt, Jan, ist ihrem dämliche Grinsen, die alte Sau, sie lacht uns förmlich aus.“
Es war in der Tat wahrhaftig so, die Luwala mit ihrem dämlichen Grinsen lachte uns einstudiert und unverschämt knurrend, einfach aus.
„Sie hat dem ganzen Nachmittag darauf gewartet, dass wir aus die Kombüse gehen, um sich den Geier zu schnappen. Das war genau einstudiert und geplant“, bemerkte Jan, als Luwala uns, immer noch unverschämt grinsend, fast belustigt, anknurrte.
Sie wusste, dass sie die Schlacht um den Weihnachtsgeier gewonnen hatte und sie ließ uns mit ihrem dämlichen Kampfeinstellung, ihrem Grinsen und ihrem Dröhnen unmissverständlich wissen, dass sie auf gar keinen Fall ohne einen handfesten Streit, bereit war, den Geier wieder herzugeben und das wir uns lieber hätten verziehen sollen.
Wir zogen uns gerade einen halben Meter zurück.
Die Diebin legte sich wieder hin und fing an, uns beide immer noch scharf im Visier haltend, mit wachsender Begeisterung den Scheiß gefüllten und gebratenen Scheißgeier am Arsch zu lecken.
„Zum Glück habe ich ein paar Karbonaden im Kühlschrank. Es hat keinen Sinn. Frohe Weihnachten, du alte Sau. Komm, Meister, wir haben Hunger“, sagte Jan und ging nach unten in die Kombüse.
„Komm du bloß heute Nacht in meine Bude, du mieses Stück“, drohte ich mit erhobenem Zeigefinger.
Von wegen! Die alte Sau ließ sich nicht von mir beirren, sie schlürfte frohen Gemütes an Geiers Arsch, sicher gewonnen zu haben, genüsslich weiter und beachtete mich überhaupt nicht mehr.
In der Kombüse fand ich einen halb fluchenden, halb lachenden Jan, der gerade dabei war, vier Karbonaden in die Pfanne zu hauen und ich lachte und fluchte, halb belustigt und halb sauer auf Luwala, mit ihm munter mit.
Unsere Kleine tauchte so eine halbe Stunde später wieder bei uns auf.
Zuerst schaute sie nur mit dem Kopf, vorsichtig die Lage peilend, in die Messe herein, wir waren mit unserem Weihnachtsmahl auch fertig.
Während wir in aller Ruhe beim Wein eine Zigarette rauchten, taten wir so, als ob sie gar nicht da wäre, und wir schauten, ohne sie zu beachten, weiter fern.
Sie wollte zu uns in die Messe, das war uns klar. Luwala hatte sehr gut diniert, und draußen war es kalt, bei uns in der Messe aber war es schön warm, und sie hatte aber auch ihr Maul weit offen. Sie hatte also Durst und wollte trinken.
Klar, dass sie Durst hatte, der Scheiß Geier war gut gewürzt und gebraten gewesen, klar, dass die alte Sau Durst hatte. So gab ich ihr zu trinken, als sie aber mit mir schmusen wollte, schob ich sie schroff beiseite und befahl ihr, nach oben zu gehen.
Sie ging ganz ruhig, auf die Schnelle tapste sie die Treppen hoch und ging, nachdem sie mich von oben aus noch einmal angegrinst hatte, in die Wärme meiner Kammer schlafen.
Später, als ich auch kurz nach Mitternacht schlafen ging, lag sie auf meinem Sofa und schmunzelte immer noch vor sich hin, unverschämt grinsend im Schlaf.
Am nächsten Morgen schauten Jan und ich neugierig unter der Treppe zur Brücke nach.
Sie hatte alles weggeputzt, nichts lag vom Geier mehr da, sogar den Reis und die Zwiebeln hatte sie aufgegessen, die alte Sau!