domenica 31 gennaio 2010

DER FALL MS. CASTILLO

Auszug aus dem Manuskript N° 1 „Der Fall MS EL CASTILLO“
ISBN 3-86516-375-0


... »Sag mal, Franco, bist du schon mal auf der Brücke gewesen?«, fragte mich Bernt nach einer kurzen Pause.
»Ja, aber nur ganz kurz, lass uns mal eben nach oben gehen und sehen, was es da alles so gibt«, schlug ich vor und stand gleich auf.

Auf der Brücke probierten wir alles: Das Radio gab nur Geräusche von sich und machte noch nicht mal Pieps, im Gegenzug ließ der Funkpeiler sich erst mal gar nicht andrehen, so verrostet und fest vergammelt war der. Nur der UKW-Empfänger war noch einigermaßen zu gebrauchen, der Rest war einfach − wie alles hier an Bord − nur noch Schrott.
»Kein Kreiselkompass, kein Autopilot, nur der Magnetkompass und das Handruder, alles nach dem Motto: Immer schön die Küste längs, ohne die auch nur für ein paar Stunden aus den Augen zu verlieren, sonst bist du verloren«, kommentierte ich fast teilnahmslos.
»Es könnte aber auch sein, dass der Kapitän ein tragbares GPS hat«, erwiderte Bernt nach kurzer Überlegung.
Meine Neugier aber galt dem Navigationstisch und dem dort aufgeschlagenen Navigationskartenatlas, so antwortete ich ihm nicht.
Der Kapitän hatte auch den Zettel, auf den er neulich bevor er zurück nach Hause flog, eine lange Reihe von Zahlen aufgeschrieben hatte, neben der uralte Schreibmaschine liegen lassen.
»Komm mal einen Moment her, Bernt, es gibt was Interessantes zu sehn«, bat ich.
»Was denn?«, fragte er, und schon stand er neben mir am Kartentisch.
»Auf diesem Zettel hier sind all die Navigationskarten, die der Alte für das Schiff bestellen will, es sieht also so aus, dass diese Zahlen nichts anderes als unsere Reiserroute sein werden«, erklärte ich.
Wir suchten uns aus dem Navigationskartenatlas die zu den Zahlen gehörenden Navigationskarten heraus und standen, als wir sie alle beisammenhatten, da wie der Ochs vorm Berg.
»Verdammt, was soll denn das hier? So was gibt's doch nicht! Hier sind nur Karten von dem Roten Meer, dem Indischen Ozean samt Arabischem Meer, die südliche Spitze Afrikas, die gesamte westliche afrikanische Küste bis Gibraltar und sonst nichts«, bemerkte ich erstaunt.
»Und du meinst, dass wir mit diesem Schiff so eine Reise unternehmen sollen? Wie denn, Großer Meister?«
»Dein „Großer Meister“-Gelaber geht mir langsam auf den Sack.«
»Ich weiß, Großer Meister, ich weiß und ich liebe es, Großer Meister.«
»Fick dich, Bernt, ich weiß es selbst nicht. Alles, was ich weiß, ist, was ich hier sehe, und was ich hier, sehe gefällt mir nicht. Und noch was, mein Junge, hier, schau mal hierher, all diese Karten hier sind alle Großmaßstabskarten, alle bis auf eine einzige, Bernt. Nur für dieses Gebiet hier hat sich der Kapitän eine detaillierte Karte ausgesucht.«

»Wo ist denn das, Franco? Bist du schon mal dort gewesen?«, wollte er noch wissen.
Ich zeigte ihm auf dem Katalog einen Punkt längs der Küste Muskat, am Arabischen Meer.
»Hier ist es«, sagte ich ihm und zeigte auf einen Punkt auf der Karte des Atlas, »ich bin schon einmal dort gewesen, vor Jahren, mit einem Tanker. Wir fuhren dort ein Mal, um Brennstoff zu bunkern, es ist ein ganz normaler Tanker, Laden- und Löschhafen, dort kann man wie gesagt Bunker, Wasser und Proviant übernehmen. Sehr, sehr teures Wasser und noch teureren Proviant, sonst nichts, dort gibt's ansonsten nur noch Sonne und Sand«, erklärte ich ihn noch,

»Und was sollen wir dort mit dieser Seifenkiste dort tun? Nicht etwa Brennstoff bunkern, oder? Der Eumel sagte doch, dass wir am Anfang der Reise genug Brennstoff für drei Monate an Bord haben würden. Wozu denn dort einlaufen? «
»Keine Ahnung, Bernt, es sieht aber verdammt danach aus, dass das Ganze hier unsere Reise sein soll, und wenn das stimmt, sollten wir danach mit diesem Schiff um die halbe Welt schippern, um irgendwann, wenn überhaupt, im Mittelmeer zu landen. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll, Junge. «

Während Bernt sich den Atlas weiter ansah, suchte ich zwischen den alten Lotsenbüchern, in der Hoffnung, dort die Schiffspiere zu finden, und Bingo, ich wurde fündig.
Zu meinem Erstaunen war das Schiff nach den „Lloyds Register of Shipping“-Bestimmungen gebaut und gewartet worden, und das ließ mir sofort einen bitteren Geschmack im Mund aufsteigen. Denn obwohl ich noch nicht nach der Lademarke gesehen hatte, an alles hätte ich gedacht, sogar auf den ABS hätte ich aufgrund meiner Erfahrung in der Nordsee mit manchen der amerikanischen Inspektoren ruhig tippen können. Auf den LR aber nicht, denn diese Klassifikationsgesellschaft war die älteste und traditionsreichste Schiffsklassifikationsgesellschaft der Welt. Ihr Name stand und steht heute noch für das Wissen und Können der Seefahrt. Mit ihrer umfassenden Organisation kontrollierte eine Schar von hochspezialisierten Experten alle Bereiche der Seefahrt und das alles im Dienste der Schiffssicherheit und zum Schutz von Menschenleben auf See.
Wie gut und gewissenhaft einige Lloyds-Inspektoren gearbeitet hatten, war hier gleich aus der Schiffszertifikaten- Mappe, die vor mir auf dem Navigationstisch der MS El Castlllo lag, zu ersehen.
»Bernt, sag mal, erinnerst du dich an das leerstehende Fundament Vorkante Maschinenraum?«, fragte ich.
»Ja, klar doch, was ist denn damit?«, fragte Bernt zurück, über meine Frage etwas überrascht.
»Und an die verrottete alte Kolbenlenzpumpe an Deck? Die mit der gebogenen Kolbenstange und dem aufgerissenen Pumpengehäuse?«, bohrte ich weiter, ohne seine Frage zu beantworten.
»Ja, klar, Mann, irgendein Trottel muss ja mal vor Jahren probiert haben, mit geschlossenen Außenbordventilen zu pumpen, es gab deswegen ein Wasserschlag, und da machte die gute alte Pumpe peng«, antwortete er, immer noch etwas verwirrt über meine Fragerei. »Aber sag mal, Franco, was hat die alte Pumpe mit all dem hier eigentlich zu tun?«, wollte er noch wissen.
»Nix Spezielles oder Spezifisches, hier aber steht nur Schwarz auf Weiß geschrieben, dass die Pumpe in Cabo Verde total überholt worden ist und daher sollte sie eigentlich für die nächsten vier Jahre in Ordnung sein«, gab ich trocken zurück.
»Sag mal, Großer Meister, hast du eine Macke? «
»Nein, Bernt, ich nicht, aber der Schweinehund, der das hier eingetragen hat, der ja«, antwortete ich rabiat und zeigte ihm die schmierige alte LRoS- Mappe, die geöffnet auf dem Kartentisch vor mir lag, »und die beiden Hilfsdiesel, die Ankerwinde, der verbrannten Notgenerator vorne unter Deck, alles, die verrosteten kaputten Lukendeckel, der verrostete Schiffsrumpf mit all den tiefen Beulen und Leckagen, alles, Bernt, das gesamte verdammte Schiff ist für die nächsten vier Jahre klassifiziert worden! Nicht zu fassen, Bernt, nicht zu fassen, Junge, ich könnte vor Wut fast kotzen, verdammt noch mal!«
»Die alten verpissten Lords in London, die schlafen wohl oder die sind alle besoffen«, bemerkte ich noch verbittert.

»Was zum Teufel geht hier eigentlich vor, Großer Meister?«, fragte Bernt, nachdem er selbst einen Blick in die Mappe geworfen hatte.
»Geld, Bernt, bares Geld, es geht nur noch um Dollars, und für Dollars sind auch einige LRoS- Inspektoren bereit, über Seemännerleichen zu gehen, mein Lieber, es geht nur noch ums Geld.«
»Leider kann man in Ländern wie Cabo Verde mit einer Hand voll Dollars alles Kaufen«, kommentierte er ziemlich gefasst
»Nein, verdammt noch mal, nicht nur in Cabo Verde kann man das, in Spanien bei den hochnäsige Caballeros anscheinend auch«, antwortete ich wütend, »und diese Mappe hier ist der Beweis dafür! Hier, schau mal wieder her, Bernt«, fuhr ich fort, »alle Ballasttanks, die Decks, der Laderaum, alles, sowohl in Cabo Verde dieses Jahr als auch in Spanien vor vier Jahren, alles wurde angeblich kontrolliert und ordnungsgemäß abgenommen. Dieses Schiff hätte aber schon damals, allerspätestens vor vier Jahren dort in Spanien, verschrottet werden müssen. Du warst doch im Laderaum, Bernt, in was für einem Zustand ist der?«
»Falls du nach unten gehen solltest, dann lauf lieber auf den Rippen der Spannten. Die siehst du sofort, denn das Deck ist nach unten gewölbt, so schwach ist das. Sonst findest du dich gleich in einem der Ballasttanks wieder«, antwortete er monoton, fast emotionslos und teilnahmslos.
»Bernt, du spinnst, der Tanktop im Laderaum ist in Ordnung, dies wurde vor vier Jahren in Spanien und vor ein paar Monaten in Cabo Verde gemessen und für in Ordnung befunden. Die LRoS- Inspektoren haben dies doch mit ihrem Stempel und ihrer Unterschrift beglaubigt«, konterte ich in aller Ruhe.
»So das auch noch und der Rostfraß vorne in der Vore Peak, dort, wo das Ballastwasser langsam aus dem Tank ausläuft?«, wollte er danach wissen.
»Vergiss es, Junge, das existiert nicht, du musst wohl heute Nacht einen Albtraum gehabt haben.«
»So, einen Albtraum hab ich also gehabt? Und die Spannte, die ich gestern im Laderaum mit den bloßen Fingern ein Stück abgeknabbert hab, muss wohl auch in meinem Halbtraum geschehen sein, nicht wahr, Großer Meister?«
»Klare Sache, Junge, du hast schlecht geträumt, es steht doch hier in der LRoS- Mappe, dass hier an Bord alles in Ordnung ist. Ich weiß nicht, was du willst, Bernt?«
»Leben, Franco, ich möchte leben und weiter zur See fahren mit der Gewissheit, dass alle Seefahrtsbehörden und sonstigen Mitbeauftragten auch ihre Arbeit machen, das möchte ich.«
»Bernt, so hör jetzt verdammt noch mal gut zu, junger Mann: So lange korrupte Klassifikationsgesellschaftsinspektoren sich solche Scherze erlauben können, ohne Angst zu haben, kontrolliert zu werden, so lange Hafenbehörden angesichts Schiffen wie diesem hier auf die andere Seite der Pier schauen, so lange Banken und Versicherungen bereit sind, Schiffe wie dieses hier zu tragen, so lange gewissenlose Kapitäne bereit sind, mit solchen Schiffen in See zu stechen − und vor allem, Bernt, so lange Du bereit bist, freiwillig als technischer Offizier mit darauf zu fahren, wohl wissend, wie der wahre Zustand des Schiffes wirklich ist, dann hast Du die Klappe zu halten oder mit deinem fetten Arsch an Land zu bleiben, und falls Du bei den Behörden auf den Tisch hauen würdest, mein Junge, würde dir keiner glauben. Egal, mit wem Du sprichst., kein Mensch wird dir zuhören, denn keiner will sich die Finger verbrennen, denn alle leben davon. Die leben sogar gut davon, und alle wollen, dass es so bleibt. Die Arbeiten alle an ihren eigenen Karrieren, die wollen alle ihre berufliche Genugtuung und Prestige. Berufliche Macht ist mit Geld verbunden, und für Geld und Macht gehen die alle über Leichen. Diese Mappe hier, Bernt, ist ein klassischer Fall für den Staatsanwalt, aber gibt es überhaupt Staatsanwälte, die die Courage haben, sich mit solcher Art von Wirtschaftskriminalität zu befassen? Ich sage nein, Bernt, es gibt keine, denn kein Staatsanwalt, der noch frisch in der Birne ist, würde es wagen, sich mit den Klassifikationsgesellschaften anzulegen, kein einziger, Bernt.
Ich frage mich nur, wie viele Seefahrer noch auf See sterben müssen? Wie viele Schiffe noch im Sturm auseinanderbrechen sollen und mit Mann und Maus untergehen, bevor endlich mal jeder der maßgebenden Schweinehunde an Land auch seine Pflicht erfüllt und denkt, bevor er ein Schiff zur Weiterfahrt freigibt, dass er für ein paar Dollars Schweigegeld eventuell eine komplette Besatzung zum Tode verurteilt? Und vor allem, Bernt, wann werden wir, die zum Tode Geweihten, endlich mal die Courage finden, Nein zu sagen?«
Bernt schwieg.
Er stand da fassungslos neben mir und schaute regungslos auf die LRoS- Mappe.

Es wird zunehmend gefährlicher, zur See zu fahren.
Obwohl ich nicht der Mann bin, der mit Wehmut auf das "Damals" zurückblickt und gerne die damaligen Zeiten mit den heutigen vergleicht.
So muss ich mir zugestehen, dass damals, zumindest bis zu den Siebziger Jahre, wo die moderne Seefahrt mit Containerschiffen, riesigen Bulkcarriers, Tankern und Spezialschiffen noch in den Kinderschuhen stand, und wir alle, auf See sowie an Land, fast in einem „Learn by doing“-Verfahren zusehen mussten, wie wir mit Monstertankern und Bulkcarriers klarkamen, solche Zustände wie hier auf der El Castillo einfach nicht möglich gewesen wären.
Denn damals waren die Menschen weder besser noch schlechter als die heutigen, sie waren anders, vor allem waren sie, zumindest was ihre Arbeit betraf, gewissenhafter.
Um sich ein Bild zu machen, wie die Lage bei uns an Bord der El Castillo war, man braucht sich nur all die Komponenten, die ein Schiff eben zu einem Schiff machen, zusammenzudenken, denn all diese Teile, die Stromaggregate, all die Pumpen, das gesamte Rohrwerk samt Ventile, die Decksmaschinen und Lukendeckel, der Schiffsrumpf, kurzum das Ganze, alles war seit vielen Jahren hinüber und hätte seit Langem schon erneut werden müssen.
Mir war auch klar, dass die El Castillo nicht mehr zu reparieren war und dass die einzige Route, die dieses Schiff nehmen sollte, die zu der nahe gelegenen und nächstbesten Schrottwerft gewesen wäre, aber auch nur unter Schlepp und im Totenschiffszustand ,und nichts anderes als das.
So schlimm bei uns an Bord, war die Situation damals.
Einfach kriminell.
Mir lagen aber als gegenteiliger Beweis dieses Zustands, Zertifikate des LRoS vor meiner Nase, die den wahren Zustand des Schiffes widerlegten und das Schiff für die nächsten vier Jahre für die weltweite Fahrt Freigaben.
Angewidert von der Korruptionsbereitschaft dieses einen LRoS- Inspektors in Cabo Verde und der Sorglosigkeit des Mutterhauses in London, das alles ohne Kontrollen akzeptierte, stellte ich die Mappe wieder ins Bücherregal zurück und folgte Bernt, dem großen Schweigsamen, der gerade die Brücke verlassen wollte, nach unten und ging mit ihm an Land in die Alexandra Bar zu Stella, zu der jungen und netten Bedienung, die wir zu unserer guten Dorffee erkoren hatten denn dort wollten wir uns zur Feier des Tages, einen ballern.

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